15. Januar 2007

Ein Freund schickt mich auf den Weg

Eigentlich verspürte ich das Bedürfnis ein Gedicht zu schreiben, so wie immer, wenn mich etwas tief bewegt, doch es wollte mir nicht gelingen. Eine bedauernswerte Häufung in den vergangenen Monaten, die ich der Tatsache zuschrieb, keine Muße und vor allem keine richtige Muse mehr neben und in mir zu wissen. Entgegen meines festen Vorsatzes niemals Prosa schreiben zu wollen (mich erinnerte vor wenigen Tagen ein Freund daran, man solle nie niemals sagen), entschloss ich mich dennoch dazu, um wenigstens in irgendeiner Weise niederzuschreiben, was mich so sehr faszinierte und beflügelte, dass mir besagter Freund sogar Euphorie unterstellte.

Ein Freund schickte mich also auf den Weg, ein Freund, dessen Worten ich mich bereit gefunden habe zu vertrauen. Mein schlechtes Gedächtnis adelt mich nicht gerade und ich weiß um diesen Fehler, doch leider nicht mehr, welche exakten Worte es waren, mit denen er mich in den Staub der Straße entließ, der mich tatsächlich mehr lockte, als das schützende Dach über dem Kopf und so sah ich mich unverzüglich aufbrechen, allein und der kühle Wind trug mich mehr, als dass er mich frösteln ließ. Er sprach von langsam gehen, doch mein Temperament lässt es gemeinhin nicht zu, dass ich mich im Wandeln ergehe und so schritt ich fest aus, was den Sinn der Übung nicht schmälerte, denn meine Zwiesprache, die ich der Einsamkeit des Weges dankend laut hielt, war ebenso leidenschaftlich geführt wie meines Schrittes Kraft durch das raschelnde Laub.

Näher hätte ich Gott nie sein können. In jedem Schritt durch das erdige Nass, dass mich sanft über den unebenen Weg führte, in jedem Windhauch, der mich weiter trug, im weiten Himmel, der sich schützend über mir erhob spürte ich seine Nähe und so war es ein Leichtes das Wort an ihn zu richten. Zu berichten, zu fragen, zu erkennen und ich erhielt Antwort. Mit jedem Schritt, mit jeder Frage und jedem Wort, dass ich laut aussprach, wuchs eine neue Frage in mir und wie Stein um Stein aufeinander gelegt entstand ein Bild der Welt um mich herum, erweiterte sich und schenkte mir die Klarheit durch Mauern zu blicken, an Schranken vorbeizugehen, über Hindernisse Hinwegzusteigen und meinen Weg so gerade und verständlich vor mir zu sehen, als wäre er immer da gewesen.

Doch noch einmal zurück zu dem Weg, den meine Füße real beschritten: Am Ende des ersten Abschnittes begegnete mir eine verschlossene Gittertür, an der ich für einige Minuten verweilte. Das Hindernis entmutigte mich keinesfalls, denn dahinter sah ich, was ich nicht erreichen konnte, noch nicht und es dauerte mich nicht im Geringsten. Hinter dieser Tür lag stilles Gewässer, eine Wiese, dessen warme Farbschattierungen durch sonniges Glitzern schillerten und ein schlichtes Haus, dass Heimat und Geborgenheit vermittelte. Ein Bild der Stille, der Ruhe, des Angekommenseins. Ein Bild, das mich erfreute und mit Sanftheit überzog, doch eines, das nicht mir gehört, noch nicht für mich bestimmt ist.

Ich wendete mich wieder um, nicht ohne zuvor noch einmal die Hände durch das Gitter, das mich davon trennte gleiten zu lassen. Ich blickte nur einmal zurück, ohne Bedauern, ohne Trauer, nur mit der Gewissheit, dass meine Bestimmung dort nicht liegt, nur ein Ausblick auf etwas, dass auf mich wartet am Ende meines Weges. So schritt ich zurück, den Weg, den ich gekommen war und mein Herz war leicht, beschwingt, denn mit vollkommener Klarheit lag vor meinen Augen, meiner Seele, meinen Händen und Füßen ausgebreitet, welcher Weg nun der Meine ist.

Eine Ahnung davon war schon zuvor vorhanden, doch eine Ahnung, die von Selbstzweifeln, von Zweifeln überhaupt und von der Frage nach dem Warum und nach dem Wie vernebelt war. Als reflektierender Mensch, der sich manchmal sogar fragt, ob dieses stete Hinterfragen und in Zweifel ziehen, dieses Suchen, Finden und Verwerfen mehr schadet als nutzt, der mit nicht wenig Bewunderung und manchmal auch Verwunderung andere betrachtet, die auch ohne diesen andauernden analytischen und kritischen Blick ganz gut leben können, war mir nicht einmal bewusst, dass es auch andere Wege gibt, die man beschreiten kann, um sich klar zu werden, um klar zu sehen. Klarheit ist ein wunderbarer Begriff. Ich denke dabei an verschmutzte Fenster, durch die das Sonnenlicht nur milchig dringt und an die erfreuliche Verwunderung, wie hell ein Zimmer werden kann, findet man einmal die Zeit und Muße zum Putzmittel zu greifen. Tatsächlich sollte jeder Mensch sich ab und an diese Zeit nehmen, einmal sein grundeigenes Putzmittel zur Hilfe zu nehmen und den Schmutz von seiner Seele und seinem Verstand zu wischen. Wir haben leider sehr wenig Zeit. Wir hetzen zwischen Arbeit und Familie, zwischen Geldsorgen und Existenznöten, von persönlichem Weltschmerz zu globalen schlechten Nachrichten und zurück, konsumieren und kranken an einer zeitraubenden Leistungsgesellschaft in der eben die Zeit und die Möglichkeit zur Selbstbetrachtung, ja und dann leider auch zur Fremdbetrachtung zu kurz kommen und glauben in den wenigen Minuten dazwischen die Weißheit gepachtet zu haben, nur weil wir ein paar Sekunden über uns selbst und unseren Platz in dieser Welt nachgedacht haben.

Einfach ist es sicher nicht, zu keiner Zeit in der Geschichte der Menschheit, aber mein kleiner Spaziergang hat mir gezeigt, dass wenig Zeit auch reichen kann, wenn man sie einmal ganz widmet, ganz Gott widmet und damit auch ganz sich selbst widmet.

Ein Freund schickte mich also auf den Weg. Ein simpler matschiger, Laub bedeckter Weg an einem windigen Vormittag im Januar und dieser Weg war nicht verschwunden, als ich zurückkehrte, wieder einkehrte. Er ist immer noch da und war und ist mein Leben und gut gewappnet mit einer Flasche Putzmittel und dem Lächeln Gottes auf meinem Gesicht beschreite ich ihn einfach weiter, aber mit etwas offeneren Augen als zuvor.

2 Kommentare:

Margot S. Baumann hat gesagt…

Sehr schöner Text mit noch schönerem Inhalt. :-) Ich wusste gar nicht, dass Du so tolle Prosa schreiben kannst. Das solltest Du öfters tun!

Ich musste beim Lesen spontan an Pilger denken. Evtl. erinnerst Du Dich daran, dass wir mal darüber sprachen. ;-)
Ich denke, es ist nicht unbedingt das Ziel - also das Erreichen einer bestimmten (heiligen) Stätte -, das den Menschen Erleuchtung bringt, sondern der Weg an sich. Die Zeit, die sie mit ihren Gedanken verbringen und die daraus resultierenden Erkenntnisse.

Beste Grüsse
Margot

I.R. Jung hat gesagt…

Liebe Margot,
genau das hatte ich dann auch gedacht. Mein Weg war zwar nur kurz, aber wie schon erwähnt - es reichte! ;)
Freut mich sehr, dass dir meine kleine Prosa gefällt. Zumal ich ja eigentlich eher abgeneigt bin.

Mein Plan den Pilgerweg auf mich zu nehmen steht immer noch. Ich würde mich freuen, wenn du auch nach wie vor bereit wärest, mit dem Auto hinterher zu fahren... *lach
Aber wie gesagt, erst wenn die Kinder mir auf den Kopf spucken können. Solang must du ja auch noch warten! :)

Liebste Grüße
Inka

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